SeaClear – Der Einsatz von Über- und Unterwasserdrohnen im Kampf gegen Plastikmüll im Meer

26.03.2021

Beschäftigt man sich mit dem Thema Nachhaltigkeit, ist häufig von 9 planetaren Grenzen die Sprache. Eine der wohl bekanntesten Grenzen ist der Klimawandel. Dieser hat in den vergangenen Jahrzehnten unweigerlich an Bekanntheit gewonnen. Experten sprechen häufig aber auch davon, dass es mindestens eine weitere plantare Grenze gibt: den Plastikmüll in unseren Ozeanen. Zunehmend mehr Tonnen an Plastikmüll landen in den Meeren unserer Welt. Die Folgen der kontinuierlichen Vermüllung sind gravierend. Aus diesem Grund macht es uns umso stolzer, Claudia Hertel-ten Eikelder vorstellen zu dürfen. Sie ist Projektmanagerin bei der Hamburg Port Authority AöR und koordiniert dort das Projekt SeaClear. Wie der Name schon verrät, geht es um die „Reinigung“ von Küstenregionen, die zum Teil mit verheerenden Müllproblemen zu kämpfen haben.

Was genau ihre Lösung des Problems ist, wer mit ihr gemeinsam an dieser Herausforderung arbeitet und was noch alles durch den Einsatz von Drohnen auf und unter dem Wasser möglich ist; darüber haben wir mit ihr gesprochen.

homePORT: Claudia, kannst du uns erst einmal erläutern, worum es bei dem Projekt geht?

C: Gerne. SeaClear steht für SEarch, IdentificAtion and Collection of Marine LittEr with Autonomous Robots und widmet sich der großen Thematik der Meeresverschmutzung. Konkret geht es um die Beseitigung von Makroplastik in küstennahen Gewässern durch ein Team von unbemannten Unterwasserrobotern, einem Wasserfahrzeug und einer Flugdrohne, das den Müll lokalisiert, als solchen klassifiziert und schließlich einsammelt. Dieser Prozess soll, einmal angestoßen, vollkommen autonom erfolgen. Wir gehen in unserem Projekt von 26-66 Mio. Tonnen Makroplastik aus, wovon ca. 94% auf dem Meeresgrund vermutet werden. Mit der steigenden Plastikproduktion findet sich wahrscheinlich auch ein entsprechend großer Anteil in den Weltmeeren wieder. SeaClear widmet sich wie keine andere Initiative bisher dem Sammeln von Stoffen am Meeresgrund.

homePORT: Kannst du die Einzigartigkeit des Projekts noch genauer erläutern?

C: Der Anstoß für das Projekt kam aus dem HPA-Netzwerk. Die Idee wurde mit den Facheinheiten besprochen und mit unseren Kollegen von der Umwelt- und Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickelt. Das interessante an SeaClear sind die vielen Aspekte, die sich darin wiederfinden. Gesellschaftlich appelliert das Projekt an einen grundsätzlich sorgsamen Umgang mit der Natur und den Gewässern der Welt im Speziellen sowie an das Umdenken, wenn es um unser Konsumverhalten geht. Initiativen reichen von Unverpackt- oder Loseläden, über Second-Handshops wie Kleiderkreisel, bis hin zu Reparatur- und Aufwertungsanbietern für technische Geräte wie refurbed. Politisch findet sich die Thematik unter anderem im chinesischen Importstopp für Plastikmüll aus Deutschland, im hier bereits geltenden Verpackungsgesetz und im kommenden Einwegplastikverbot ab dem 03.07.2021 wieder. Auch die technischen Innovationen sind weitreichend:

• Die Kooperation der verschiedenen Komponenten – Flugdrohne, Schwimmplattform und Unterwasserroboter – in so einer komplexen Aufgabe ist herausragend. Basis zur Auftragserfüllung ist die integrierten Kartierungsfunktion der Wasseroberfläche und des Gewässergrundes, auf der die Sammlung des Makroplastiks erfolgt.

• Zur Unterscheidung von Unrat und Meereslebewesen nutzen wir eine Künstliche Intelligenz, die charakteristische Formen und Bewegungsmuster sowohl von Meeresbewohnern als auch Makroplastik erkennt.

• Hinzu kommt, dass die Sammlung von Meeresmüll auf dem Grund mit autonomen Robotern eine Herausforderung ist, der sich bisher niemand gestellt hat. Aktuell konzentrieren sich die Bemühung vor allem auf die Bereinigung der Wasseroberfläche.

• Unser Ziel ist es, die zunächst geteilte Kontrolle zwischen dem SeaClear-System und einem menschlichen Operator zu einer autonomen Funktionsweise zu entwickeln, in der der Mensch nur noch in überwachender Manier involviert ist.

homePORT: Wird die Wichtigkeit des Themas auch von Außenstehenden außerhalb des Projekts wahrgenommen?

C: Immer, wenn ich die Gelegenheit habe, beruflich wie auch privat über das Thema und unsere Lösung zu sprechen, stoße ich auf großes Interesse. Jeder versteht sofort, worum es geht, kann sich damit identifizieren und ist begeistert. Gleichzeitig besteht Respekt vor der Komplexität des Projektes. Am spannendsten ist es, wenn das Potential der Anwendung erkannt und weitergedacht wird. Beispiele hierfür sind die Entnahme von Wasser- und Sedimentproben, Monitoring im Bereich des Natur- und Artenschutzes, in der Bergung von größeren Gegenständen wie Schiffszubehör oder auch in der Wartung und Inspektion von submarinen Hafenanlagen.

homePORT: Wer sind die Projektpartner und welche Rolle spielt die HPA?

C: Die HPA ist vor allem als potenzieller Endnutzer und Infrastrukturgeber für die Test- und Demonstrationsphasen involviert und definiert die konkreten Anwendungsfälle für SeaClear. Zunächst muss hier erwähnt sein, dass es in Hamburg kein akutes Müllproblem gibt, das ein System wie SeaClear beheben muss. Es gibt jedoch metallische bzw. magnetische Gegenstände wie Nieten und Nägel, die im Rahmen des Schiffbaus in Hamburg in die Elbe gelangt sind. Diese werden im Vorfeld von Baumaßnahmen als bei der Kampfmittelsondierung als Anomalien erkannt und müssen abgesammelt werden. Hier eine Klassifizierung mittels spezieller Sensoren zu machen, unbedenkliche Materialien einzusammeln und fragliche Gegenstände auf einer Karte für eine gezielte Untersuchung und Bergung durch Taucher zu markieren, ist ein absoluter Mehrwert, den SeaClear bringen kann. Trübes Wasser, Tideströmungen und Schiffsverkehre sind zudem Herausforderungen, die es auch in anderen Regionen der Welt gibt, die ein tatsächliches Müllproblem haben.

In Dubrovnik, dem zweiten Demonstrations- und Teststandort geht es auch darum, dem Thema “Meeresverschmutzung” eine Aufmerksamkeit unter den Einwohnern und Touristen zu verschaffen. Die Stadt leidet unter dem von Strömungen angetriebenen Unrat ebenso, wie die touristischen Küstenregionen Kroatiens und die dortigen Naturschutzgebiete. Nur kann man das hier durch das klare Wasser auch bestens erkennen. Wir entwickeln das System technisch so, dass es in beiden Umgebungen erfolgreich arbeiten kann.

Die wirkliche Mammutaufgabe in der Entwicklung aller Teilkomponenten liegt bei unseren Projektpartnern an der Technischen Universität München, dem Fraunhofer CML in Hamburg, der Technischen Universität Cluj-Napoca in Rumänien, der Universität Dubrovnik in Kroatien, der TU Delft in den Niederlanden und unserem Industriepartner Subsea Tech in Frankreich.

homePORT: Gibt es bereits andere Forschungsprojekte, die sich mit identischen Thematiken auseinandersetzt?

C: Glücklicherweise gibt es eine Menge Initiativen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Herangehensweisen. Im Kontext Meeresmüll sind das zum Beispiel “The Ocean Clean Up” aus den Niederlanden, “Everwave” (ehemals Pacific Garbage Screening) aus Aachen, “one earth – one ocean” aus München, aber auch der “waste shark” aus den Niederlanden, “elastec” aus Chicago und “seabin” aus Australien, nur um ein Paar zu nennen. Sie alle befassen sich im Großen und Ganzen mit dem, was an der Wasseroberfläche schwimmt und SeaClear ergänzt diese Initiativen. Zum Teil sind diese Projekte schon über den reinen Forschungscharakter hinaus und ganz real im Einsatz. Aber soweit ich weiß, sind die Verantwortlichen kontinuierlich dabei ihre Entwicklungen zu optimieren.

homePORT: Warum wird sich eure Idee durchsetzen?

C: SeaClear ist in der jetzt gedachten Form einzigartig. Im Ergebnis werden unsere Partner an der TU München, am Fraunhofer CML und auch bei Subsea Tech gänzliche neue Hardwarekomponenten hervorbringen. Die Arbeit an den Universitäten Dubrovnik und Rumänien trägt zudem insgesamt zu einem Kompetenzaufbau und Erkenntnisgewinn im breiten Feld der Softwareentwicklung bei. Das allein ist schon stark. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Ich betrachte es schon jetzt als eine Art Baukasten oder Multifunktionstool, das für verschiedene Zwecke zum Einsatz kommen kann. Heute sammelt es Makroplastik auf einem bestimmten Areal aus dem Wasser, morgen vermisst es besonders flache Bereiche im Hafen, übermorgen wird an die Stelle des Greif- / Saugarms ein Sedimentbohrer und eine Pipette gesetzt und dann werden an verschiedenen Stellen der Elbe Wasser- und Bodenproben genommen, während das Sonar gegen ein Hydrophone ausgetauscht wird und die Geräuschkulisse unter Wasser erfasst. Und falls die nächste Infrastrukturmaßnahme eine Kampfmittelsondierung benötigt, unterstützt SeaClear die Taucher bei der Detektion und Bergung von Gefahrenstoffen. Die Untersuchung und Wartung von Schiffen und maritimen Bauwerken kann ebenfalls ein Einsatzgebiet sein. Wenn ich die Hafenbrille absetze, nimmt das Umweltmonitoring mittels SeaClear einen noch größeren Stellenwert im Naturschutz und in der Erfassung des marinen Ökosystems, der Erforschung von Lebewesen, deren Gesundheitszustand und Lebensweise ein. SeaClear eignet sich auch für die Überwachung von kommerziellen, küstennahen Aquakulturen oder für die Lagebilderfassung zum Zustand von Offshore-Windparks. Allerdings müsste das System für einige dieser Einsatzbereiche etwas größer dimensioniert sein.

homePORT: Kannst du uns einen Einblick in den derzeitigen Stand des Projekts geben und weitere Meilensteine erläutern?

C: Nach einem Jahr Projektlaufzeit hat das Herzstück, die Schwimmplattform SeaCat, die ersten autonomen Fahrversuche in den Gewässern vor Marseille erfolgreich absolviert. Wir haben im Rahmen unseres Projektbudgets die Auswahl der Sensoren abgeschlossen und planen neben dem Einsatz von Video- und Sonarsystemen auch die Verwendung eines kleinen Metalldetektors. In der Konstruktion des Hybridgreifers sind wir von der Prototypenphase in die Umsetzung gegangen, der Sammelkorb ist designet und ein erster Prototyp erstellt. Die Integration der Hardware wird aufgrund der aktuellen Reisebeschränkungen am Computer simuliert und die Künstliche Intelligenz trainiert. Die Datenerfassung und Verarbeitung sowie die dafür notwendige Kommunikationsinfrastruktur muss erstellt und erprobt werden. Das jetzt angebrochene zweite Projektjahr steht also ganz im Zeichen der technischen Entwicklungen. Bevorstehende Meilensteine bis zum Abschluss sind die Zusammenführung der Einzelkomponenten zu einem Gesamtsystem und die für Hamburg besonders wichtige Test- und Demonstrationsphase gegen Ende des Projektes.

homePORT: Was sind die derzeit größten Herausforderungen?

C: Tatsächlich erschwert Corona derzeit die Entwicklung an manchen Stellen, weil unsere Partner nicht wie gewohnt in ihren Werkstätten tätig werden können. Die gleichmäßige Verteilung der Kompetenzen erfordert eigentlich auch einen viel stärkeren persönlichen Austausch, der über die Projektmeetings via Telefonkonferenzen nur bedingt abbildbar ist. Die effiziente Kartierung des Gewässergrundes und die Detektion des zu sammelnden Makroplastiks, hängt stark von der Leistungs- und Wahrnehmungsfähigkeit der verbauten Sensoren und der Datenkommunikationswege ab. Eine große Rolle spielt dabei auch die Unterwasserwelt selbst.

Zur Kartierung der Umgebung nutzen wir verschiedene Fahrzeuge. Hierin liegt die erste Herausforderung, denn wir benötigen eine geeignete Steuerungsarchitektur, die eine Kommunikation zwischen den verschiedenen Systemen ermöglicht und auch unter Wasser verlässlich funktioniert. Es ist möglich, eine solche Umgebung zu simulieren, aber nichts geht über Tests in einem realen Setting, um unseren Ansatz zu überprüfen und zu bewerten.

In der Lokalisierung und Suche nach Müll gibt es zudem eine große Bandbreite an Objekten und Zersetzungsstadien, was nicht ganz trivial ist. Denn gerade hierfür gibt es keine oder nur wenige öffentlich zugängliche Datensätze für das Training der sensorischen Fähigkeiten. Die Entwicklung jeglicher Art von Erkennungsalgorithmus, sei es manuell oder mit Hilfe eines maschinellen Ansatzes, wird sich aber mit der Zeit und aufgrund der immer vielfältigeren Lernsituationen stetig verbessern. Nichtsdestotrotz ist die Suche am und Kartierung des Grundes mittels Flugdrohnen oder Unterwasserrobotern ist insgesamt leichter zu stemmen, als die Aufgabe bei eingeschränkter Sicht und in trübem Wasser zu bewältigen. Deswegen sind reale Testbedingung zu Beginn zwar besonders herausfordernd, aber langfristig in der Lösung von technischen Problemstellungen von unschätzbarem Wert. Ein letzter Punkt: Autonome Gefährte im Wasser sind keine Neuigkeit, aber die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür sind noch im Entstehungsprozess, den wir HPA-spezifisch durch das Projekt prägen können. Die Anforderungen des Oberhafenamtes sind maßgebend auch für andere Häfen und helfen den effizienten Betrieb autonomer Systeme in den vorgesehenen Einsatzumgebungen sicherzustellen.

homePORT: homePORT hat seine Tore bereits virtuell eröffnet und wird im Frühjahr dieses Jahres auch einen physischen Campus im Hafen errichten. Welche Möglichkeiten siehst du, homePORT für euer Projekt zu nutzen?

C: Neben den oben genannten Aspekten eignet sich das Gelände bestens für die die Tests, die wir mit SeaClear durchführen wollen und müssen, um die Funktionsfähigkeit zu prüfen. Die Erreichbarkeit durch die Stadtnähe ist perfekt und die infrastrukturellen Rahmenbedingungen geben uns den größtmöglichen Spielraum unser System unter Hamburger Bedingungen zu erproben. Wenn man bedenkt, dass Hafenbehörden und Städte zum zukünftigen Kundenstamm gehören, dann ist es absolut vorteilhaft, dass wir die relevanten Interessenten entweder innerhalb des Hauses oder im erweiterten Netzwerk finden. Unser Beitrag zur Forschung und Entwicklung erweitert sich damit um eine nachfrageorientierte Perspektive. Ich hoffe, dass sich im Laufe der Testreihen auch Optimierungsbedarfe erkennen lassen, die wir bis zum Ende des Projektes berücksichtigen können.

homePORT: Claudia, ganz herzlichen Dank für diese tiefen Einblicke in ein Projekt, dessen Thematik aktueller nicht sein könnte. Wir wünschen die weiterhin viel Erfolg und werden die SeaClear-Thematik auch weiterhin verfolgen.